Warum beim Baucafe Schillers „Glocke“ nicht mitspielen durfte

Ein Kommentar von Marianne Helgert

Bisher war ich der festen Meinung, auswendig lernen habe noch keinem geschadet. Bis ich mir nach dem heutigen sehr interessanten Baucafe gedacht habe, es sei eine gute Idee, die berühmte „Glocke“ von Schiller zu lesen.

Dabei bin ich in Ehrfurcht vor Generationen von Schülerinnen und Schülern erstarrt, die es erstaunlicherweise geschafft haben, diesen für mein Gehirn völlig zusammenhanglosen Text auswendig aufsagen zu können. Vermutlich finden sich auch in unserer Gemeinde derartige Talente, die hiermit meinen absoluten Respekt haben. Der vollständige Text übersteigt sogar bei Weitem den Rahmen, der hier darstellbar ist.

Mit dem Glockengießen hat sich Herr Schiller wohl recht sorgfältig in der Gießhütte des Rudolstädter Glockengießers Johann Mayer befasst. Nach langer und harter Dichtarbeit war das Gedicht 1799 schließlich fertig.

Auch wir haben uns heute mit dem harten, schwierigen und sechs Wochen langen Prozess des Glockengießens befasst, aber sozusagen in einer sehr spannenden und abwechslungsreichen Light-Version, nämlich einem Filmzusammenschnitt aus der „Sendung mit der Maus“, der sich mitnichten auf den von Schiller beschriebenen Prozessausschnitt beschränkt. Der weitaus längere Teil ist der vorhergehende Bau von drei Formen pro Glocke.

Den Prozess der Klöppelherstellung, an den Herr Buchmeier rechtzeitig und in Respekt vor dem historischen Material gedacht hat, hat Friedrich Schiller in seinem Gedicht nicht beschrieben. Dies hat ihm schon damals Spott bescherte und brachte 67 Jahre später ein anderes Gedicht hervor, das aber nicht so berühmt wurde wie sein eigenes:

Meister! hab' mich lang' bezwungen,
Aber nun vernehmt mein Wort:
Eure Arbeit ist misslungen,
Denn die hohe Glocke dort
Hänget starr entseelt,
Weil der Klang ihr fehlt.
Künftig seid nicht so vermessen!
Seht! der Klöpfel ist vergessen.

Eduard Boas

Außer dem Fehlen des Klöppels haben auch die Unverständlichkeit, Gefälligkeit und Länge des Orginalgedichts bereits zu Schillers Zeit für Gelächter gesorgt und tun dies bis heute. Heinz Erhard schrieb zu diesem Thema einen witzigen fiktiven Dialog zwischen Goethe und Schiller. Der Zwang, sich mit dem Gedicht befassen zu müssen, hatte also anscheinend schon immer kreative Folgen. Sehr bekannt wurde die Kurzfassung unbekannter Urheberschaft: „Loch in Erde, Bronze rin. Glocke fertig, bim, bim, bim“.

Für alle, die nach dem Baucafe nun doch neugierig darauf sind, wie das Lied von der Glocke eigentlich lautet, erlaube ich mir nun, eine ganz extrem auf den eigentlichen Glockengießprozess gekürzte Fassung anzuführen, so dass das Werk – in meinem Kopf nun mit Bildern aus der Sendung mit der Maus illustriert - doch noch lesbar wird, eine gewisse Würdigung erfährt und die letzten wunderschönen Verse besser zur Geltung kommen:

„Fest gemauert in der Erden
Steht die Form, aus Lehm gebrannt.
Heute muß die Glocke werden.
Frisch Gesellen, seid zur Hand.
Von der Stirne heiß
Rinnen muß der Schweiß,
Soll das Werk den Meister loben,
Doch der Segen kommt von oben.

Nehmet Holz vom Fichtenstamme,
Doch recht trocken laßt es sein,
Daß die eingepreßte Flamme
Schlage zu dem Schwalch hinein.
Kocht des Kupfers Brei,
Schnell das Zinn herbei,
Daß die zähe Glockenspeise
Fließe nach der rechten Weise.

Weiße Blasen seh ich springen,
Wohl! Die Massen sind im Fluß.
Laßt's mit Aschensalz durchdringen,
Das befördert schnell den Guß.
Auch von Schaume rein
Muß die Mischung sein,
Daß vom reinlichen Metalle
Rein und voll die Stimme schalle.

Wie sich schon die Pfeifen bräunen!
Dieses Stäbchen tauch ich ein,
Sehn wir's überglast erscheinen,
Wird's zum Gusse zeitig sein.
Jetzt, Gesellen, frisch!
Prüft mir das Gemisch,
Ob das Spröde mit dem Weichen
Sich vereint zum guten Zeichen.

Wohl! nun kann der Guß beginnen,
Schön gezacket ist der Bruch.
Doch bevor wir's lassen rinnen,
Betet einen frommen Spruch!
Stoßt den Zapfen aus!
Gott bewahr das Haus!
Rauchend in des Henkels Bogen
Schießt's mit feuerbraunen Wogen.

In die Erd ist's aufgenommen,
Glücklich ist die Form gefüllt,
Wird's auch schön zutage kommen,
Daß es Fleiß und Kunst vergilt?
Wenn der Guß mißlang?
Wenn die Form zersprang?
Ach! vielleicht indem wir hoffen,
Hat uns Unheil schon getroffen.

Bis die Glocke sich verkühlet,
Laßt die strenge Arbeit ruhn,
Wie im Laub der Vogel spielet,
Mag sich jeder gütlich tun.
Winkt der Sterne Licht,
Ledig aller Pflicht
Hört der Pursch die Vesper schlagen,
Meister muß sich immer plagen.

Tausend fleißge Hände regen,
helfen sich in munterm Bund,
Und in feurigem Bewegen
Werden alle Kräfte kund.
Meister rührt sich und Geselle
In der Freiheit heilgem Schutz.
Jeder freut sich seiner Stelle,
Bietet dem Verächter Trutz.
Arbeit ist des Bürgers Zierde,
Segen ist der Mühe Preis,
Ehrt den König seine Würde,
Ehret uns der Hände Fleiß.

Nun zerbrecht mir das Gebäude,
Seine Absicht hat's erfüllt,
Daß sich Herz und Auge weide
An dem wohlgelungnen Bild.
Schwingt den Hammer, schwingt,
Bis der Mantel springt,
Wenn die Glock soll auferstehen,
Muß die Form in Stücke gehen.

Der Meister kann die Form zerbrechen
Mit weiser Hand, zur rechten Zeit,
Doch wehe, wenn in Flammenbächen
Das glühnde Erz sich selbst befreit!
Blindwütend mit des Donners Krachen
Zersprengt es das geborstne Haus,
Und wie aus offnem Höllenrachen
Speit es Verderben zündend aus;
Wo rohe Kräfte sinnlos walten,
Da kann sich kein Gebild gestalten,
Wenn sich die Völker selbst befrein,
Da kann die Wohlfahrt nicht gedeihn.

Freude hat mir Gott gegeben!
Sehet! Wie ein goldner Stern
Aus der Hülse, blank und eben,
Schält sich der metallne Kern.
Von dem Helm zum Kranz
Spielt's wie Sonnenglanz,
Auch des Wappens nette Schilder
Loben den erfahrnen Bilder.

Herein! herein!
Gesellen alle, schließt den Reihen,
Daß wir die Glocke taufend weihen,
Concordia soll ihr Name sein,
Zur Eintracht, zu herzinnigem Vereine
Versammle sich die liebende Gemeine.

Jetzo mit der Kraft des Stranges
Wiegt die Glock mir aus der Gruft,
Daß sie in das Reich des Klanges
Steige, in die Himmelsluft.
Zehet, ziehet, hebt!
Sie bewegt sich, schwebt,
Freude dieser Stadt bedeute,
Friede sei ihr erst Geläute.

Marianne Helgert