Das 16. Jahrhundert

Gründung der Gemeinde

Kaufleute und Handwerker aus den Niederlanden, die sich aus wirtschaftlichen Gründen in der Handelsmetropole Nürnberg niederließen, und Reformierte auf der Flucht vor Herzog Alba waren die ersten reformierten Christen im Nürnberg des 16. Jahrhunderts: Ausländer und Flüchtlinge bildeten den Kern der späteren Gemeinde St. Martha.

Der erste reformierte Bürger in Nürnberg

Jan de Bouß (Boys), ein kleiner Händler aus Gent, ist der erste mit Namen bekannte Reformierte in Nürnberg. Am 26. Mai 1559 erhielt der Niederländer das Bürgerrecht der freien Reichsstadt – hundert Jahre vor Gründung der reformierten Gemeinde.

Drei Jahre nach de Bouß erteilte der Rat dem reformierten Seidenhändler Augustin Legrard, seiner Familie und seinen Helfern für vier Jahre das Bürgerrecht:

„Augustin de Grand, deme niderlendern, und mitgesellschaftern und helfern, dern, wie er angezaigt, fünf seien, sambt ihren weibern, ist auf ir bitt vier jar lang on das burgerrecht alhie zu sizen und zu wohnen vergönnt, doch das sie in der religion kein sect anrichten, sonder sich derselben halb eingezogen und dermaßen halten wollen, damit sich irer weder meine herren noch sonst iemand zu beschweren hab, das sie auch sich alles burgerlichen ghorsams befleißigen, und sich selbsten mit wohnungen versehen wollen, wie sich sich dann des zu tun stattlich erpoten. So ist inen auch die freiheit zugesagt, wie sie gepeten, das in solcher zeit der vier jar alhie niemand mehr gestattet werden soll, iren vorhabenden seidenhandel und gewerb, one ir zulassen zu treiben und zu verlegen, und das alles darumben, das ermelter Augustin de Grand die rauhe seiten hieher bringen und arbeiten wolle, auf allerlei weis, damit er dann in dritthalbhundert hiesige personen zu fördern und zu erneren vermeint; und so im gott in den bestimmten vier jaren den segen gebe, das er allhie pleiben und sein narung haben könne, das er dann nach ausgang derselben sich ins burgerrecht begeben wolle.“

Augustin Legrand, wie er richtig hieß, war ein reicher reformierter Bürger aus Frankfurt. Er wollte vermutlich die Stadt verlassen, nachdem im Zuge eines Streites innerhalb der französisch-reformierten Gemeinde, in den auch der Rat der Stadt Frankfurt verwickelt wurde, dieser 1561 die öffentliche Ausübung des reformierten Gottesdienstes verboten hatte.

Der Augsburger Religionsfrieden

Nach den Bestimmungen des Augsburger Religionsfriedens von 1555 war der lutherische Rat der Stadt „Bischof“ (summus episcopus) der lutherischen Kirche. Reformierte galten als eine Sekte, nicht als eine gleichberechtigte evangelische Konfession. Offiziell mussten sich die Reformierten an die „Brandenburg-Nürnbergische Kirchenordnung“ von 1533 halten. Für Taufe, Trauungen und Beerdigungen waren die lutherischen Pastoren zuständig. Eine eigene Gemeinde zu bilden, wie 1554/55 in Frankfurt war den Reformierten in Nürnberg verwehrt.

Der Rat der seit 1524 lutherischen Stadt Nürnberg wusste vermutlich um den Streit in Frankfurt und ermahnte Legrand ausdrücklich, keine „Sekte“ in die Stadt zu bringen.

In Nürnberg war jedoch das wirtschaftliche Interesse an seinem Gewerbe größer als die Angst vor Streit zwischen reformierten und lutherischen Bürgern.

Als Zentrum wirtschaftlichen und künstlerischen Schaffens in Europa hatte die freie Reichsstadt bereits um die Jahrhundertwende niederländische Handwerker, vornehmlich Barettmacher, Weber, Bierbrauer, und Kaufleute angezogen und war ihrerseits auf Händler und Fachleute aus dem Ausland angewiesen. Legrand enttäuschte die Hoffnung des Nürnberger Rates. Er änderte seine Pläne und blieb Bürger von Frankfurt.

In den folgenden Jahren nahm die Stadt Nürnberg einzelne Händler aus den Niederlanden in ihren Schutz auf, auch wenn sie des Calvinismus „verdächtig“ erschienen, wie 1563 den Seidenmacher Jeronimus Pallier.
Streit um das Abendmahl

In Nürnberg war Jan de Bouß ein angesehener, auf den Tuchhandel spezialisierter Kaufmann geworden.1567 wurde der Rat auf ihn aufmerksam, weil er beschuldigt wurde, in der Lehre vom Abendmahl eine irrige Ansicht zu vertreten.

Martin Luther und Huldreich Zwingli hatten sich im Abendmahlsstreit der 20er und 30er Jahre um die leibhafte Gegenwart, die Realpräsenz Christi in den Elementen Brot und Wein, nicht geeinigt.

Luther hielt an einer Realpräsenz fest, im Sinne der Einsetzungsworte: „Dies ist mein Leib...“ Wie Leib und Blut Christi in den Elementen von Brot und Wein gegenwärtig seien, erklärte der Reformator in Wittenberg am Beispiel von 100 Gulden in einem Geldbeutel: Sichtbar sei, wie die Elemente, nur der Beutel; dennoch sage man: das seien 100 Gulden, ohne dass der Inhalt des Geldbeutels sichtbar sei.

Zwingli hingegen verstand das Abendmahl als Vergegenwärtigung des Sterbens und Auferstehens Jesu Christi, als Gedächtnis- und Gemeinschaftsmahl. Im Abendmahl, so betonte der Reformator Zürichs, würden die Gläubigen zum Leib Christi. Reformierte Tradition versteht die Gegenwart Christi beim Abendmahl als Gegenwart im heiligen Geist während der ganzen Mahlfeier.

Erst im 20. Jahrhundert einigten sich Reformierte und Lutheraner auf ein gemeinsames Verständnis des Abendmahls, rund 450 Jahre nach dem Streit zwischen Luther und Zwingli wurde uneingeschränkte Abendmahlsgemeinschaft möglich. Die Einigung lutherischer, reformierter und unierter Kirchen sowie der Kirchen der Waldenser und der Böhmischen Brüder erfolgte 1973 in der Leuenberger Konkordie: „Im Abendmahl schenkt sich der auferstandene Jesus Christus in seinem für alle dahingegebenen Leib und Blut durch sein verheißendes Wort mit Brot und Wein. Er gewährt uns dadurch Vergebung der Sünden und befreit uns zu einem neuen Leben aus Glauben. Er lässt uns neu erfahren, dass wir Glieder an seinem Leibe sind. Er stärkt uns zum Dienst an den Menschen. – Wenn wir das Abendmahl feiern, verkündigen wir den Tod Christi, durch den Gott die Welt mit sich selbst versöhnt hat. Wir bekennen die Gegenwart des auferstandenen Herrn unter uns. In der Freude darüber, dass der Herr zu uns gekommen ist, warten wir auf seine Zukunft in Herrlichkeit.“
Andachten im „Rahmengarten“

Im 16. Jahrhundert entschied der Nürnberger Rat, nicht zu hart gegen Jan de Bouß vorzugehen. Er wurde noch gebraucht: Modische Tuche und Seidenstoffe aus England sollten in Nürnberg gefärbt werden. Dazu benötigte man Fachkräfte aus den Niederlanden. Im Auftrag des Rates warb Jan de Bouß die Tuchbereiter Alexander vom Berg und Philipp de Fette sowie die Färber Jan Doppengießer und Gerhart von Herff aus Antwerpen, sich in Nürnberg anzusiedeln. Neben den Reisekosten stellte die Stadt Wohnungen, das Färbhaus samt Geräten und kaufte einen Garten vor dem Frauentor, der Platz bot, die Tuche zum Trocknen aufzuhängen. Diesen „Rahmengarten“ nutzten die Niederländer nicht nur für ihr Gewerbe: Sie hielten dort auch Andachten im Sinne ihres reformierten Bekenntnisses. Der Konflikt mit lutherischen Geistlichen und Bürgern blieb nicht aus.

Nach den vier Meistern mit ihren Familien und Gesellen, schätzungsweise 40 Personen, kamen weitere Tuchbereiter, Seidenfärber, Bortenwirker, Goldschmiede, Bankiers und Kaufleute auf der Flucht vor Herzog Alba und auf Bitte ihrer bereits ausgewanderten Landsleute in die Handelsmetropole an der Pegnitz.
Niederländische Flüchtlinge

Anders als in den deutschen Städten war in den Niederlanden der „Calvinismus“, die Richtung der Reformation, die sich auf den Reformator Genfs, Johannes Calvin (1509-1564) beruft, zur vorherrschenden Richtung im Protestantismus geworden.

Mitte des 16. Jahrhunderts flohen Tausende Protestanten aus den Niederlanden, nachdem der katholische Kaiser Karl V. (1519-1556; gest. 1558) zwei Edikte gegen den Protestantismus erlassen hatte: 1550 verfügte er, den Kauf, das Lesen oder Aufbewahren von Werken der Reformatoren Martin Luther, Huldreich Zwingli, Johannes Oekolampad und Johannes Calvin mit dem Tode zu bestrafen.

Als der Kaiser 1556 abdankte, fielen die im Norden von Friesen, im Süden von Flämen und Wallonen bewohnten Niederlande an seinen Sohn König Philipp II. von Spanien (1555-1598). Die neue spanisch-katholische Regierung verletzte sowohl die angestammten Rechte des ständischen Adels als auch des Klerus. Bürgerliche und kirchliche Opposition verschmolzen, es kam 1566 zum Krieg, der mit dem Waffenstillstand 1609 den nördlichen Provinzen die Unabhängigkeit und als Staatsreligion den „Calvinismus“, den reformierten Protestantismus brachte.

Während des Krieges rühmte sich der Generalstatthalter Herzog Alba (1567-1573) 18.000 Protestanten als Ketzer hingerichtet zu haben. Vor seinem Schreckensregiment flohen an die hunderttausend Calvinisten nach England, Dänemark, in die Schweiz und nach Deutschland, wo sie sich insbesondere in Ostfriesland und in den Städten des Rhein-Main-Gebietes ansiedelten.
Volker CoiterVolker Coiter, ein berühmtre Arzt des 16. Jahrhunderts war einer der reformierten Bürger Nürnbergs

Im 16. Jahrhundert zählte ein berühmter Arzt, einer der „Fürsten der Anatomie“, zu den Reformierten Nürnbergs: Volker Coiter, Sohn einer angesehenen Patrizierfamilie in Groningen, Friesland.

1562 in Bologna promoviert war Coiter einige Jahre als Professor in Italien tätig. Um die Jahreswende 1565/1566 wurde der evangelische Christ – vermutlich im Zuge der Inquisition – verhaftet. Aus dem Gefängnis entlassen ging Coiter 1566 nach Amberg, wo er drei Jahre lang Leibarzt des kurfürstlichen Statthalters, des Pfalzgrafen Ludwig war und an dem neu gegründeten Pädagogium Physik lehrte.

1569, im Alter von 35 Jahren wurde Coiter einer der fünf Stadtärzte Nürnbergs. Zu seinen Aufgaben gehörte die Überwachung der öffentlichen Gesundheitspflege, vor allem die Bekämpfung von Seuchen. Coiter war auch wissenschaftlich tätig. Er veröffentlichte ein Sammelwerk der Anatomie und forschte auf dem Gebiet der Embryologie. Seine Veröffentlichungen versah er mit eigenhändigen Zeichnungen. Während eines Feldzugs des Pfalzgrafen Johann Casimir gegen Frankreich starb Coiter an einer Infektionskrankheit. Heute erinnert ein Straßenname im Stadtteil Ebensee an den engagierten Arzt und Wissenschaftler.
Französische Flüchtlinge

Neben den Niederländern kamen auch einige fränzösische Flüchtlinge: Bekannt ist Anthonin Fornier aus Paris, der mit seinem verheirateten Gesellen am 31. Dezember 1569 als Bürger aufgenommen wurde - unter der Bedingung, sich keiner „Sekte“ anzuschließen. Fornier brachte die Kunst nach Nürnberg, vergoldeten kupfernen Draht, den leonidischen Draht herzustellen. Die leonische Industrie wurde in Nürnberg zu einem blühenden Wirtschaftszweig.

Nach einem Jahr verließ Anthonin Fornier die Stadt und gründete mit seinem Sohn Jorg im oberpfälzischen Freystadt einen neuen Betrieb. Seine Enkel Wolf Friedrich und Andreas zogen nach Nürnberg zurück, und sein Urenkel war als Hausvater an der Gründung der reformierten Gemeinde beteiligt.

Der Rechtsgelehrte Hugo Donellus aus Chalons sur Saone musste 1576 die Universität Heidelberg wegen seines reformierten Glaubens verlassen und kam 1587 nach Nürnberg. Dort übernahm er eine Professur an der reichsstädtischen Akademie Altdorf.

Aus der Schweiz kam die später für die Gemeinde wichtige Familie Peyer aus Schaffhausen.

Der Rat der Stadt war an Handel und Handwerk der reformierten Christen aus dem Ausland interessiert, zumal Nürnbergs Wirtschaftskraft durch den zweiten markgräflichen Krieg von 1552 geschwächt war. Die freie Reichsstadt musste aber auch Rücksicht nehmen auf ihren obersten Herrn, den katholischen Kaiser. Die Reformierten durften keine eigene Gemeinde gründen.
Streit um den Exorzismus

Der Rat der Stadt hätte es gern gesehen, wenn sich die Reformierten selbstverständlich den lutherischen Gemeinden angeschlossen hätten. Am 23. Juli 1567 ermahnte er die „Calvinisten“, sich still zu verhalten, dass ihretwegen keine Klage erhoben werde:

„(...) Gabriel Schlüsselberger, Jorgen Maleprandt, Niclasen de Nova Castel und andere, die der calvinischen schwermerei verdacht und disputirn, sol man beschicken, inen meiner herren ernstlichs misfallen ihres irtumbs und disputirns halben und dabei anzeigen, von solchem irtumb abzustehen und sich der hiesigen und augspurgischen confession gemes zu erzeigen.

Welcher aber in seinem gewissen ein anders erkennet und helt, das solt er bei sich behalten und nit aneinander disputirn, auch niemand kein ergernus geben, noch ainiche conventicula halten, sonder sich eins solchen eingezogen stillen wesens uns wandels verhalten, das iren halben kein weitere clag kume (...)“

Die Reformierten verhielten sich jedoch nicht ruhig. Sie hielten eigene Andachten im „Rahmengarten“ und besuchten das Abendmahl in reformierten Kirchen der Oberpfalz.

Zu einem offenen Streit zwischen der Stadt und den Reformierten kam es aus Anlass der in Nürnberg geübten Teufelsaustreibung bei Taufen: Den bei lutherischen Taufen in Nürnberg geübten Exorzismus hielten die Reformierten für einen „Greul, der aus dem Papsttum hergeflossen ist“, und ließen ihre Kinder im oberpfälzischen Amberg taufen. Ein Kind des Michel von Praga soll sogar im Garten vor dem Frauentor getauft worden sein.

Ein Gutachten der Prediger Mauritius Heling, Johannes Schelhammer und Laurentius Dürnhofer sollte dem Rat helfen zu entscheiden, ob der Exorzismus bei Taufen entfallen könnte. Das Gutachten der Theologen vom 1. September 1570 ist in der „Kirchengeschichte der evangelisch reformierten Gemeine“ von Georg Ernst Waldau (1783) abgedruckt. Es fiel zugunsten der Reformierten aus. Da der Exorzismus nicht biblisch sei, in der kirchlichen Tradition umstritten, und Luther ihn abschaffen wollte, könnte er stillschweigend abgeschafft werden:

„(...) Tauff bleibet Tauff ohn den Exorcismum (...) So muß doch nicht den gesprochnen Wortten der Einsetzung der Tauff, vielweniger der Beschwöhrung die Krafft, den Teufel damit auszutreiben, zugeeignet werden. So können gottesförchtige Herzen nicht sagen, daß die Kinder von gottesförchtigen Eltern in der Kirche geporen und durch das Gebett auch in Mutterleib zu dem Herrn Christo gebracht, dem Teuffel angehören und von ihm besessen sind (...) Und haben wir für uns gar kein Bedenken, warumb er (der Exorzismus) nicht solt abgeschaft werden (...)“

Das Gutachten überzeugte den Rat: Die Niederländer durften bei der Taufe ihrer Kinder die Teufelsaustreibung weglassen.

Der Konflikt zwischen Lutheranern und Reformierten war damit nicht beigelegt: Heinrich Strober ließ sein Kind 1572 in dem oberpfälzischen Stift Weißenohe ohne Teufelsaustreibung taufen. Der Prediger von St. Lorenz, Johann Schelhammer, der mittlerweile wieder die Teufelsaustreibung befürwortete, sollte den reformierten Tuchbereiter über den Sinn der Handlung belehren. Zwei Jahre später hob der Rat den Erlass auf, der die Geistlichen an den Pfarrkirchen ermächtigt hatte, den Exorzismus bei der Taufe niederländischer Kinder wegzulassen.
Bekenntnistreue

Eine dreitägige Reise nahmen die Reformierten auf sich, um Gottesdienste in der Oberpfalz, in den Orten Ambach, Weißenohe, Gnadenberg, Hagenhausen, Neumarkt und Freystadt zu besuchen. Diese Strapaze hätten sich die Niederländer nach Ansicht des reformierten Theologen Theodor Beza sparen können: Er verfasste am 15. November 1580 ein Gutachten, das besagte, die „fratres Belgae, qui commorantur Noribergae“, die Belgischen Brüder, die sich in Nürnberg aufhalten, könnten ohne Gewissensbeschwerden am Abendmahl in Nürnberg teilnehmen und ihre Kinder dort taufen lassen.

Doch selbst Beza, der Nachfolger Calvins in Genf, überzeugte nicht alle Reformierten in Nürnberg: Im Jahre 1583 wurden neun reformierte Bürger angezeigt, weil sie ihre Kinder in der Oberpfalz hatten taufen lassen. Es waren: der Bortenwirker Johann de Brassery, dessen Enkel Daniel und Cornelius später Älteste der Gemeinde wurden; der Seidenfärber Steffan von Quickelberg; der Goldschmied Florian von der Brucken; Melchior Lauter; der Seidenbortenwirker Hans Morian; Hans von Queuvenbeck; der „Pariser Goldarbeiter“ Jacob Murmann und der Teppichmacher Johann Mundecken.

Ein Ratsverlass vom 28. September 1583 (StAN, Rst. Nbg., Rep. 60a, Ratsverlässe Nr. 1495, folio 20v-21v) belegt: Es ging den Reformierten bei dem Streit nicht nur um den Exorzismus bei der Taufe, sondern auch um die grundsätzliche Anerkennnung der in Nürnberg gültigen Kirchenordnung, während dem Rat daran lag, Friede und Einigkeit innerhalb der Stadtmauern zu wahren:

„(...) So wöllen ire Erberkaiten hierauf den mehrgedachten Supplicanten hiemit eingepunden und auferlegt haben, hinfuro so wol als ander gemainer Stat gehorsame burgere, sich mehrangeregter gemainen alhieigen Kirchenordnung zuundergeben, und die Kindertauf, auch andere Sacramente derseben gemes, alhie zugebrauchen, auf das zwischen inen und der andern gehorsamen Burgerschaft, Christliche aintrechtigkeit gepflantzt und erhalten, und kein teil von dem andern geergert, oder ainich schisma und Zwispalt under gemainer Burgerschaft (...) verursacht werde. (...) Und da sie die Supplicanten, deß angezognen Exorcismi halben in der Kindertauf, ainichen Zweifel odr gewissen tragen, stehet inen bevor, sich derowegen bei den Heren Preicanten oder schaffern in den beden Pfarrkirchen, Christlichen Unterrichts, wie derselbig gemaint und vin inen verstanden werden sollte, yedesmals zu furfallender notturft, zuerholen, damit sie ire gewissen gegen Gott zufriden stellen können, in massen andre Gotsforchtige Burger alhie, in gleichmessigem fall bißhero auch gethan haben.

Woverrn es aber inen umb ermelten Exorcismum allain nicht zuthun, und sie ye vermainen, das sie von desselben und anderer Sacrament oder gebreuchlichen Kirchen Ceremonien wegen, und hiesiger Kirchenordnung in irem gewissen beschwerdt seien, und dises Exorcismi und anderer puncten und gebreuch der heiligen Sacramenten halben, andere frembde oberkaiten und Kirchen zu besuchen, nit umbgang haben, welches aber ein erber Rathe aus zum tail vorangedeutten ursachen, in massen sie selbst zuerachten, wie Ergernus und Zerruttung gemainer Burgerlichen ruhe und ainigkait, hier nicht nachzugeben wissen noch können. Denn so wenig sie die Supplicanten hierynn ainiche beschwernis ihres gewissens zugedulden vermainen, so wenig kann auch ein erber Rath, inen selbst noch anderen irer gehorsamen Burgerschafft, etwas wider die vorlängst angenommene und bißher gebrauchte Kirchenordnung, ir gewissen verstricken noch beschweren, oder izt was neües und was schein auch solches beschehen möchte, furnemen und einreissen lassen. So mögen alßdann sie die Supplicanten irer gelegenheit nach dahin bedacht sein, wohin sie ir Domicilium und Haußwesen in andere und solche wege richten und anstellen, damit sie irem vorhaben und begern gemes der Religion und gebrauch der Heiligen Sacramenten und Kirchen Ceremonien halben, von niemand ainichen eintrag und verhinderung haben mögen, auf denselben fall soll inen nichts weniger der Handel und Wandel zu und von gemainer Stat (...) unverhindert und ungesperrt sein, und ainem jeden, was pillich und recht ist, si wol alß bißhero gedeyen und widerfahren (...)“

Fembohaus

Das von einem niederländischen Kaufmann gebaute "Fembohaus" ist das einzige erhaltene repräsentative Nürnberger Bürgerhaus.


Zusammenfassung

Jan de Bouß (Boys), ein kleiner Händler aus Gent, ist der erste mit Namen bekannte Reformierte in Nürnberg. Am 26. Mai 1559 erhielt der Niederländer das Bürgerrecht der freien Reichsstadt.

In den folgenden Jahren nahm die Stadt Nürnberg einzelne Händler aus den Niederlanden in ihren Schutz auf, auch wenn sie des Calvinismus „verdächtig“ erschienen.

Nach anfänglich schätzungsweise 40 Personen, kamen weitere Tuchbereiter, Seidenfärber, Bortenwirker, Goldschmiede, Bankiers und Kaufleute auf der Flucht vor Herzog Alba und auf Bitte ihrer bereits ausgewanderten Landsleute in die Handelsmetropole an der Pegnitz.

Unter anderem zählte ein berühmter Arzt, einer der „Fürsten der Anatomie“, zu den Reformierten Nürnbergs: Volker Coiter, Sohn einer angesehenen Patrizierfamilie in Groningen, Friesland.

Neben den Niederländern kamen auch einige fränzösische Flüchtlinge: Bekannt ist Anthonin Fornier aus Paris, der mit seinem verheirateten Gesellen am 31. Dezember 1569 als Bürger aufgenommen wurde.

Aus der Schweiz kam die später für die Gemeinde wichtige Familie Peyer aus Schaffhausen.

Zu einem offenen Streit zwischen der Stadt und den Reformierten kam es aus Anlass der in Nürnberg geübten Teufelsaustreibung bei Taufen: Den bei lutherischen Taufen in Nürnberg geübten Exorzismus hielten die Reformierten für einen „Greul, der aus dem Papsttum hergeflossen ist“, und ließen ihre Kinder im oberpfälzischen Amberg taufen.

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